Reden zum Volkstrauertag 1933

Halterner Zeitung berichtet über zwei Gedenkfeiern in Haltern zum Volkstrauertag 1933 

Autor des Beitrags: Werner Nienhüser

Die beiden folgenden Artikeln sind in der „Halterner Zeitung“ (auf Seite 3) vom 14. März 1933 erschienen1Digitale Kopien der Zeitungsausgabe vom 14.3.1933 sind hier zu finden: https://zeitpunkt.nrw/ulbms/periodical/zoom/17088403. Leider sind nicht alle Ausgaben verfügbar. Für den Zeitraum nach 1933 sind bisher keinerlei Digitalisate vorhanden. Ich habe eine Abschrift der Reden erstellt, da die Kopien der Zeitungsartikel an etlichen Stellen optisch schlecht lesbar sind und auch die Frakturschrift das Lesen nicht erleichtert. Die damalige Rechtschreibung habe ich beibehalten. Fettsetzungen der Überschriften habe ich übernommen und Hervorhebungen des Originals mit Sperrschrift durch Kursivsetzung ersetzt.. Sie berichten über zwei Gedenkfeiern am „Volkstrauertag“ am 12. März 1933. Gedacht wurde der „Gefallenen“ des (aus der heutigen Sicht Ersten) Weltkrieges. Dokumentiert sind in den beiden Artikeln die jeweiligen Reden, gehalten von Marine-Ingenieur Prüger in Haltern-Stadt und von Dr. Josef Rieth 2Dr. Josef Rieth, NSDAP-Mitglied seit 1933, war ab 1921 Amtmann des Amtes Haltern, zur Zeit der Rede Bürgermeister des Amtes Haltern, später, ab Juli 1933, dann Landrat des Landratsamtes Recklinghausen. Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Josef_Rieth; und Schäfer, Jürgen (2001): Die Landräte des Kreises Recklinghausen von 1816 bis 1999. Eine Datensammlung. Recklinghausen., dem damaligen Bürgermeister von Haltern.

Die Heimat gedachte der Toten

Ein Fahnenmeer bildete am Sonntagvormittag die Rekumerstraße, als unter dumpf erklingendem Trommelwirbel in endlosem Zuge die Vereine zum Kriegerdenkmal zogen, um hier einer Gedenkfeier für die Gefallenen der Stadt beizuwohnen.

Eine unübersehbare Menschenmenge umstand das Kriegerdenkmal, als der Musikverein Haltern die Gedenkfeier mit einem Musikstück einleitete. Nach dem vom M.G.V. „Frohsinn“ stimmungsvoll vorgetragenen „Reiters Morgengebet“ hielt der Marine–Ingenieur Prüger die Gedenkrede. Er führte aus:

Volkstrauertag!

Ein Tag im Jahr, an dem sich das ganze Deutsche Volk ohne Partei- und Klassenunterschiede einmütig zusammenfindet, um dankerfüllten Herzens der 2 Millionen seiner Heldensöhne zu gedenken, die in Erfüllung der höchsten Menschenpflicht, der Verteidigung des Vaterlandes für deutschen Stammes und deutschen Wesens Ehr und Wehr das kostbarste geopfert haben: Ihr Leben.

In Nord und Süd, in West und Ost, auf weiter Ebene unter nickenden Halmen, am raschelnden Rohr der unheimlichen Moore, unter dem raunenden, rauschenden Blätterdach uralter Eichen, im tiefen, einsamen Wald, auf kahler sonnendurchglühter Felsenhöhe, in Eis und Schnee der Abgründe unwegsamer Gebirge, im heißen Wüstensand und im ewig bewegten unendlichen Meer ruhen die 2 000 000 deutscher Söhne, die im Weltkriege gefallen sind. Wir schauen über dieses schier grenzenlose Feld des Jammers und des Todes und dann zu den Sternen, dankend betend, ja und auch fragend:

Warum mussten sie sterben?

Das Gesetz alles Lebens wird uns offenbar: „Und setzt Ihr nicht das Leben ein, nie wird Euch das Leben gewonnen sein.“ Helden des Krieges und Helden des Friedens: beiden ward dieses Gesetz. Es breitet eine heilige Gemeinsamkeit über uns Lebende und über die Toten. Für Volk und Heimat sollen wir leben, für Volk und Heimat sind sie in den Tod gegangen, in dem unerschütterlichen Bewusstsein, als Opfer für die Gemeinschaft zu sterben. Noch sehen wir im Geiste sie hinausziehen, blumenbekränzt, winkend und singend, abschiednehmend, alles vergessend in der heiligen Liebe zum Vaterland, keine Gedanken an das eigene Ich, nur Hingabe für die Heimat. So gingen sie von uns fort, so fielen sie, unsere Starken, unsere Guten.

Sie starben, damit Deutschland lebt.

Dieses Deutschland haben sie uns als Erbe hinterlassen, in dem Glauben an die deutsche Zukunft. Hingemäht durch furchtbare Uebermacht, den vereinigten Kampfmitteln einer ganzen Welt, glaubten sie an die Frucht ihres Opfertodes. Sterbend sahen sie aus ihrem Blute erstehen ein starkes einiges Deutschland, hinausgewachsen wie sie selbst, über der Parteien Zwist und kleinlichen Hader.

Haben wir dieses Erbe im Sinne der Toten verwaltet? Haben wir die Probe bestanden, gemessen an dem Werk unserer Toten? Was erkennen wir als tiefsten Kern ihres Wesens? Zurücktreten der eigenen, kleinlichen Interessen, ihr ganzes Sein beherrscht und überragt von deutschem, vaterländischem Fühlen, von Gemeinsinn. War es so immer und überall auch bei uns? Demütig schlagen wir an unsere Brust und bekennen ein jeder von uns schuldig des Fehlens der ganzen Liebe zum Vaterland, der mangelnden Liebe zu einander. Mahnend steht heute vor uns das große deutsche Leid, das heilige Opfer der im Kriege gefallenen Brüder. Aus dem Leid erwuchs immer des deutschen Volkes höchste Kraft. Wenn heute die Flaggen halbmast wehen, wenn große Scharen sich zu würdigen Gedenkfeiern still vereinen, soll der Entschluss in uns sich festigen, im Glauben an Deutschland das Wort zu verwirklichen:

Nimmer wird das Reich zerstöret,
Wenn ihr einig seid und treu!

Volkstrauertag! Tag der Erkenntnis, des Geständnisses unseres Irrens, des Sichaufrichtens an dem Vorbild unserer Toten. Schreiten wir von dieser Erkenntnis zur Nachfolge unserer Helden. Vereinen wir uns untereinander in der Liebe zu unserem deutschen Vaterlande und in der Liebe zu allen Kindern unserer deutschen Heimat. So wird uns aus roten Totenrosen neues deutsches Leben emporwachsen. Dann werden der Opfermut und die heilige Opferglut deutscher Herzen den Glauben an die deutsche Zukunft Wirklichkeit werden lassen. Mit innigem Mitgefühl denken wir heute auch der Hinterbliebenen unserer gefallenen Helden. Hart war auch für uns das Leid und tief der Schmerz als die Kameraden an unserer Seite fielen oder die Wellen sich über ihnen schlossen. Die Zeit hat das Leid verharrscht und die Wunden sind vernarbt, aber gleich geblieben ist Liebe und Treue zu denjenigen, die als Helden von uns gingen. Es muss eines Mannes und Soldatenherz auf tiefste empören und erschüttern, wenn in neuzeitigen Büchern und Bühnenwerken der deutsche Soldat als willenloses Werkzeug seiner Launen und Leidenschaften hingestellt wird. Wir mußten sogar erleben, daß der Universitätsprofessor Gumbel ungestraft von dem Feld der Unehre sprechen durfte, auf dem unsere Helden gefallen sind. Und weil dieser Verläumder nicht gemaßregelt wurde, verstieg er sich sogar zu der ungeheuerlichen Behauptung, für ihn sei ein Kriegerdenkmal ein großer Haufen Kohlrüben.3Emil J. Gumbel war bis 1932 Statistik-Professor an der Universität Heidelberg. In einem nicht-öffentlichen Vortrag soll Gumbel gesagt haben: „Für mich ist das Denkmal des Kriegs nicht eine leichtbekleidete Jungfrau mit Siegespalme in der Hand, sondern die Schrecken und das Leid des Kriegs werden viel besser durch eine Kohlrübe verkörpert…“ (zitiert nach Rendtel u.a. 2021: 281). Gumbel wollte damit, so vermutet man, an den Hungerwinter 1916/17 erinnern, in dem die Bevölkerung oftmals nicht mehr als Kohlrüben zu Essen hatte. Gumbel war den Rechten schon lange verhasst. Bereits 1919 entging er knapp der Erschiessung durch eine Freikorps-Einheit. Er veröffentlichte u.a. Statistiken über politische Morde, in denen er nachwies, dass die Zahl der Morde von der rechten Seite um ein Vielfaches höher war als die von der linken Seite. Pro Mord gab es für die Rechte durchschnittlich 4 Monate Haft, für die Linke 15 Jahre oder sogar die Todesstrafe. 1932 ging Gumbel nach Frankreich, 1933 wurde er als einer der ersten Deutschen ausgebürgert. Rendtel, Ulrich; Wasmuht, Ulrike C.; Wilrich, Peter-Theodor (2021): Emil Julius Gumbel. Innovativer Statistiker und engagierter Publizist. In: AStA Wirtschafts- und Sozialstatistisches Archiv 15 (3-4), S. 273–291; s.a. Heither, Dietrich (2021): Ich wusste, was ich tat. Emil Julius Gumbel und der rechte Terror in der Weimarer Republik. 2. Aufl. Köln: PapyRossa Verlag. Eine sehr kurze Biographie findet man hier: https://demokratie-geschichte.de/koepfe/2264. Die Farben Schwarz-Weiß-Rot4Die rechts-nationalen Gegner der Weimarer Republik begrüßten es, dass 1933 die Flagge wieder eingeführt wurde, die von 1871 bis 1919 die Nationalflagge des Deutschen Reiches gewesen war. 1935 wurde sie durch die Hakenkreuzflagge abgelöst. https://de.wikipedia.org/wiki/Schwarz-Weiß-Rot, die jetzt wieder im ganzen Vaterlande flattern, geben uns die Gewähr dafür, daß kein Mensch mehr unsere gefallenen Brüder und Feldgrauen in solche unerhörter Weise entehren wird.

Wir alle, die den bunten Rock mit Ehren und Stolz getragen haben, betrachten unser Kämpfen und Ringen, welches so ehrlich und selbstlos war, sehen das Leiden und Sterben unserer gefallenen Helden nicht mit den Augen eines damals noch unreifen Jünglings, sondern mit dem weiten tiefen Mannesblick, der allerdings neben manchen Tadelswertem, was der Krieg einmal als leider unvermeidlich mit sich bringt, aber auch die große Fülle und Mannigfaltigkeit stillen Opfertums, leuchtender Kameradschaft, überragende Heldentaten und glühendster Vaterlandsliebe schauen durften. Das allein ist die Wahrheit, die wir und das Gute und Edle zu ehren, unseren gebliebenen Brüdern schuldig sind.

Lassen Sie uns demütig unsere entblößten Häupter neigen und während die Fahnen sich senken, unseren gefallenen Heldensöhnen ein stilles gedenken weihen.

Ihr, die Ihr ruht auf den Schlachtfeldern aller Welt, und umstrahlt von den heiligen Zeichen des Opfers, Ihr aus Schützengräben und Granattrichtern, aus Schlachtschiffen und U-Booten, Ihr Helden der Luftkämpfe, Ihr, deren Blut den Boden unserer Kolonien trank, Ihr 2 000 000 aus allen Schlachten, aus allen Gauen unseres deutschen Vaterlandes:

Euch geloben wir von neuem die Treue,
Euch danken wir.
Wir wollen wachen in eurem Geist,
Kämpfen in Eurem Geist.
Glauben in eurem Geist.
Nicht trauernd stehen wir an euren Gräbern
Es ist nicht Zeit zu Klagen.
Nein, wir pflanzen hinter euren Hügeln die Hoffnung
auf, damit sich erfüllt, wofür ihr starbt:

„Deutschland!“

Einig und eins sind wir mit Euch Verklärten und Eure Lichtgestalt verheiße uns die Erfüllung unseres Flehens.

„Gott schütze Deutschland“.

Nach dieser von edler Vaterlandsliebe getragenen Rede, die einen tiefen Eindruck bei den Zuhörern hinterließ, stimmte der M.G.V. „Frohsinn“ das Lied von guten Kameraden an, währenddessen die Menge mit entblößtem Haupte der Toten gedachte. Von den verschiedenen Verbänden wurden am Denkmal mehrere Kränze niedergelegt.

Nach weiteren musikalischen Darbietungen des Musikvereins Haltern und der Stadtkapelle erfolgte der geschlossene Rückmarsch zum Marktplatz. Hier fand die Gedenkfeier mit dem Musikstück „Das Gebet“ und den Liede „Dir, mein Vaterland“, einen würdigen Abschluß.

Kriegergedächtnisfeier auf dem Annaberg

Der Annaberg war vorgestern5Am Sonntag, den 12.3.1933. morgen das Ziel der Bewohner Holtwick-Berghalterns und Bergbossendorfs, um der Kriegergedächtnisfeier beizuwohnen, die von dem Kriegerverein Holtwick, dem M.G.V. „St. Anna“ und dem Bürgerverein veranstaltet wurde.

Vor der Gedächtnisfeier fand der Gedenkgottesdienst in der Gnadenkapelle statt, bei der die Kapelle bis auf den letzten Platz besetzt war.

Nach dem Gottesdienst nahmen die Vereine und die Gemeindebewohner Aufstellung am Kriegerdenkmal, um in einer würdigen Feier derjenigen zu gedenken, die im großen Ringen um Deutschlands Freiheit ihr Leben für die Heimat hingaben.

Die Feier wurde eingeleitet durch das Lied „Es ist bestimmt…“, vorgetragen durch den M.G.V. „St. Anna“, Hieran schloß sich ein Sprechchor, den die Oberklasse der Berghalterner Schule, unter Leitung des Herrn Lehrer Kotte, stellte. Gerade dieser Sprechchor schaffte die rechte Stimmung, wie sie zu einer Gedenkfeier für unsere Gefallenen gehört. Der mit allgemeiner Anerkennung aufgenommene Sprechchor, der von den Kindern mit ganz vorzüglicher Betonung wirkungsvoll vorgetragen wurde, war ein eindrucksvolles Erlebnis.

Die Feier wurde umrahmt durch Darbietungen des M.G.V. „St. Anna“.

Die Gedenkrede hielt Herr Bürgermeister Dr. Rieth:

Deutsche Männer, Deutsche Frauen, Kameraden!

Der Kriegerverein Holtwick und die übrigen Vereine von Berghaltern und Holtwick sind heute am Volkstrauertag beim Kriegerdenkmal hier auf dem Annaberg zusammengetreten, um der Gefallenen des Weltkrieges zu gedenken.

Der Priester hat bereits am Altare beim Introitus der katholischen Christenheit das Reminiscere zugerufen. Gedenke, o Herr, Deiner Güte! Der Volksbund deutscher Kriegsgräberfürsorge fordert das ganze deutsche Volk auf, heute und überall in Deutschland der Toten des Weltkrieges zu gedenken.

Stolz und wahrhaft sind wir 1914 als Soldaten hinaus gezogen. Treu dem Vaterland haben wir im Westen, Osten, Süden und auf den Weltmeeren die Heimat verteidigt und die deutsche Ehre gerettet. Viele sind nicht wiedergekehrt, sind den Heldentod gestorben. Deutsches Leben mußte mit deutschem Blute erkämpft werden, für das deutsche Volk starben deutsche Männer dahin. Sie sind unvergessen im Herzen des deutschen Volkes. Solange das deutsche Mutterherz schlägt, das sie unter dem Herzen getragen, solange das deutsche Vaterherz glüht, das sie in Liebe herangezogen, solange deutsche Kinder und kommende Generationen stolz auf ihre Vorfahren in deutschen Landen leben werden, werden die Helden des Weltkrieges unvergessen sein. Ihre Massengräber werden vom Bund deutscher Kriegsgräberfürsorge gepflegt.

Besonders nahe stehen uns die Gefallenen aus Berghaltern und Holtwick. Sie sind aus der engeren Heimat. Durch Familie, Haus und Hof, Arbeitsplatz und Gemeinde, sind sie auf engste mit uns verbunden gewesen. Diesen gefallenen Kameraden wollen wir hier am Kriegerdenkmal ein besonderes Gedenken weihen, indem ich diesen Kranz niederlege.

Der Männergesangverein St. Anna sang darauf: „Ich hatt‘ einen Kameraden“. —

Bürgermeister Dr. Rieth führte weiter aus:

Und doch dürfen wir nicht in müder Trauer versinken. Nach dem Tode kommt die Auferstehung, nach Leid folgt Freude, nach dem Winter erwacht im Frühjahr die Natur. Und wenn wir unseren Blick an diesem herrlichen Frühlingstage über die Lippelandschaft nach der Haard schweifen lassen, wer würde nicht wieder frohe Hoffnung gewinnen? Und wenn wir heute in die Dörfer und Städte schauen, so haben wir Soldaten allen Grund, freudig gestimmt zu sein. Wehen doch wieder die Fahnen, mit denen wir einst hinausgezogen und unter denen unsere Helden gefallen sind: Schwarz-weiß-rot. Wir danken der Reichsregierung, daß sie diesen sehnlichen Wunsch des deutschen Volkes heute erfüllt hat. Vor 8 Tagen hat das deutsche Volk die Frage des Herrn Reichspräsidenten, ob es von einem Kabinett der nationalen Konzentration geführt sein will, mit einem deutlichen Ja beantwortet.6Die Wahlen im März 1933 waren keine freien Wahlen. KPD-Politiker waren überwiegend in „Schutzhaft“, die Sozialdemokraten weitgehend in die Illegalität gedrängt. Die NSDAP errang 43,9 Prozent der Stimmen zum Reichstag. Die KPD-Mandate wurden am 8.3.33 annulliert. Zusammen mit den Stimmen der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) reichte es dann für eine Mehrheit der von der NSDAP dominierten Rechten im Reichstag. Insgesamt hatte der Reichstag 647 Sitze. Die extremen Rechten bekamen 340 Sitze: NSDAP 288, KSWR (Kampffront Schwarz-Weiß-Rot, einem von der DNVP – der Deutschnationalen Volkspartei – DNVP dominierten Wahlbündnis) 52). Bei der Konstituierung fielen die KPD-Sitze wegen des KPD-Verbots weg. Bei den nächsten Wahlen im November 1933 war nur noch die NSDAP zur „Wahl“ zugelassen (https://www.demokratiegeschichten.de/die-scheinwahl-im-maerz-1933). In Haltern war die NSDAP bei den Landtags- und Kreistagswahlen die Partei mit den meisten Stimmen. Bei den Reichstagswahlen erzielte das Zentrum die höchste Stimmenzahl. Zusammen mit dem KSWR erreichte die NSDAP bei den Landtags- und Kreistagswahlen in Haltern knapp 50 Prozent der Stimmen, im Reichstag knapp 45 Prozent.. Bereits in dieser Woche ist die Gleichschaltung der Länder erfolgt und in der nächsten Woche werden wir erleben, daß der Reichstag zum ersten Mal wieder ohne Kommunisten zusammentritt und die N.S.D.A.P. allein die Mehrheit hat. Wir sind auf dem von mir am Volkstrauertag im Vorjahr gezeichneten Weg der nationalen Freiheit und sozialen Gerechtigkeit ein gut Stück vorwärts gekommen. Gewaltige Aufgaben stehen uns bevor. Während wir noch stark mit innerpolitischen Dingen beschäftigt sind, während es gilt Arbeit und Brot für einen großen Teil des Volkes zu schaffen, pocht der böse Feind an die Tür. Polen sitzt auf der Westerplatte und bedroht Danzig. In Österreich bekämpft eine legitimistische Regierung den großdeutschen Gedanken. Aber der Heldengeist der Gefallenen hebt sich wieder empor. Er wird für uns zur neuen Kraftquelle werden, an der wir uns wieder aufrichten. Wie wir einst als wehrhaftes Volk die deutsche Ehre geschützt haben, so müssen wir auch in Zukunft für die Ehre der Nation in Wehrhaftigkeit einstehen. Und erst dann wird das „Deutschland, Deutschland über alles“, das die Knaben soeben im Sprechchor vorgetragen haben, ein wahrhaftes sein, wenn Deutschland dasteht in „Einigkeit und Recht und Freiheit“.

Die Feier schloß darauf mit der 3. Strophe des Deutschland-Liedes.

Eine erste kurze Interpretation

Dass wir es hier mit Reden zu tun haben, in denen sich die Ideologie des Nationalsozialismus ausdrückt, ist leicht ersichtlich. Prüger hetzt über den Sozialdemokraten Gumbel, noch deutlicher als Prüger begrüßt Rieth die Herrschaft der Nationalsozialisten.

Ich will hier nur einen einzigen Aspekt hervorheben, der nicht nur der nationalsozialistischen Ideologie zu Eigen ist, sondern tief im deutschen Nationalismus und Konservatismus verankert war: Beide Reden haben gemeinsam, dass sie eine Antwort darauf geben, warum die Soldaten im Kriege starben. Die „Gefallenen“ starben nicht grundlos. „Sie starben, damit Deutschland lebt“, so Prüger. Die Soldaten zogen auch nicht gezwungenermaßen oder unwillig in den Krieg, sondern „alles vergessend in der heiligen Liebe zum Vaterland, keine Gedanken an das eigene Ich, nur Hingabe für die Heimat“. Gerne, so meinen beide Redner, brachten sie sich selbst als Opfer für das Kollektiv, das mit unterschiedlichen Begriffen benannt wird: Sie starben für das „Volk“, die „Heimat“, die „Gemeinschaft“, das „Vaterland“ und – immer wieder wird es gesagt – für „Deutschland“. Diese sprachlichen Kollektiv-Konstrukte werden flankiert durch Attribute wie „stolz“, „treu“, ,,wahrhaft“. Der Einzelne, so hören wir in den Reden, gilt für sich genommen nichts, als Teil des Kollektivs Nation und Volk hat er seine Interessen zurückzustellen und sein Leben bereitwillig zu opfern.

Diese Überhöhungen von Volk und Nation werden mitgetragen, symbolisch und zu großen Teilen auch inhaltlich unterstützt durch das Singen militärischer oder religiöser Lieder. Gottesdienst als religiöses Ritual verschafft den kriegsverherrlichenden, das nationalsozialistische Regime begrüßenden Reden Legitimität, wohl weit über die Anhänger des NS-Regimes hinaus.

Interessant wäre ein Vergleich der Gedenkfeiern und Reden aus dieser Zeit (vor und nach 1933, bis 1945) mit denen, die nach 1945 stattfanden und -finden. Meiner Wahrnehmung nach hat sich die symbolische Gestaltung der Gedenkfeiern nicht so sehr verändert. Aufmarsch, Flaggen, Uniformen, das Lied vom „Kameraden“, all das finden wir heute noch. Ob das nur unwichtige Äußerlichkeiten sind, mag man bezweifeln. Bei den Reden dagegen dürften sehr große Unterschiede zu finden sein. Vor allem die Überhöhung von „Volk“ und „Nation“ sowie die Verherrlichung von Krieg und „Opfertod“ wird es nicht mehr geben.

Anmerkungen

  • 1
    Digitale Kopien der Zeitungsausgabe vom 14.3.1933 sind hier zu finden: https://zeitpunkt.nrw/ulbms/periodical/zoom/17088403. Leider sind nicht alle Ausgaben verfügbar. Für den Zeitraum nach 1933 sind bisher keinerlei Digitalisate vorhanden. Ich habe eine Abschrift der Reden erstellt, da die Kopien der Zeitungsartikel an etlichen Stellen optisch schlecht lesbar sind und auch die Frakturschrift das Lesen nicht erleichtert. Die damalige Rechtschreibung habe ich beibehalten. Fettsetzungen der Überschriften habe ich übernommen und Hervorhebungen des Originals mit Sperrschrift durch Kursivsetzung ersetzt.
  • 2
    Dr. Josef Rieth, NSDAP-Mitglied seit 1933, war ab 1921 Amtmann des Amtes Haltern, zur Zeit der Rede Bürgermeister des Amtes Haltern, später, ab Juli 1933, dann Landrat des Landratsamtes Recklinghausen. Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Josef_Rieth; und Schäfer, Jürgen (2001): Die Landräte des Kreises Recklinghausen von 1816 bis 1999. Eine Datensammlung. Recklinghausen.
  • 3
    Emil J. Gumbel war bis 1932 Statistik-Professor an der Universität Heidelberg. In einem nicht-öffentlichen Vortrag soll Gumbel gesagt haben: „Für mich ist das Denkmal des Kriegs nicht eine leichtbekleidete Jungfrau mit Siegespalme in der Hand, sondern die Schrecken und das Leid des Kriegs werden viel besser durch eine Kohlrübe verkörpert…“ (zitiert nach Rendtel u.a. 2021: 281). Gumbel wollte damit, so vermutet man, an den Hungerwinter 1916/17 erinnern, in dem die Bevölkerung oftmals nicht mehr als Kohlrüben zu Essen hatte. Gumbel war den Rechten schon lange verhasst. Bereits 1919 entging er knapp der Erschiessung durch eine Freikorps-Einheit. Er veröffentlichte u.a. Statistiken über politische Morde, in denen er nachwies, dass die Zahl der Morde von der rechten Seite um ein Vielfaches höher war als die von der linken Seite. Pro Mord gab es für die Rechte durchschnittlich 4 Monate Haft, für die Linke 15 Jahre oder sogar die Todesstrafe. 1932 ging Gumbel nach Frankreich, 1933 wurde er als einer der ersten Deutschen ausgebürgert. Rendtel, Ulrich; Wasmuht, Ulrike C.; Wilrich, Peter-Theodor (2021): Emil Julius Gumbel. Innovativer Statistiker und engagierter Publizist. In: AStA Wirtschafts- und Sozialstatistisches Archiv 15 (3-4), S. 273–291; s.a. Heither, Dietrich (2021): Ich wusste, was ich tat. Emil Julius Gumbel und der rechte Terror in der Weimarer Republik. 2. Aufl. Köln: PapyRossa Verlag. Eine sehr kurze Biographie findet man hier: https://demokratie-geschichte.de/koepfe/2264.
  • 4
    Die rechts-nationalen Gegner der Weimarer Republik begrüßten es, dass 1933 die Flagge wieder eingeführt wurde, die von 1871 bis 1919 die Nationalflagge des Deutschen Reiches gewesen war. 1935 wurde sie durch die Hakenkreuzflagge abgelöst. https://de.wikipedia.org/wiki/Schwarz-Weiß-Rot
  • 5
    Am Sonntag, den 12.3.1933.
  • 6
    Die Wahlen im März 1933 waren keine freien Wahlen. KPD-Politiker waren überwiegend in „Schutzhaft“, die Sozialdemokraten weitgehend in die Illegalität gedrängt. Die NSDAP errang 43,9 Prozent der Stimmen zum Reichstag. Die KPD-Mandate wurden am 8.3.33 annulliert. Zusammen mit den Stimmen der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) reichte es dann für eine Mehrheit der von der NSDAP dominierten Rechten im Reichstag. Insgesamt hatte der Reichstag 647 Sitze. Die extremen Rechten bekamen 340 Sitze: NSDAP 288, KSWR (Kampffront Schwarz-Weiß-Rot, einem von der DNVP – der Deutschnationalen Volkspartei – DNVP dominierten Wahlbündnis) 52). Bei der Konstituierung fielen die KPD-Sitze wegen des KPD-Verbots weg. Bei den nächsten Wahlen im November 1933 war nur noch die NSDAP zur „Wahl“ zugelassen (https://www.demokratiegeschichten.de/die-scheinwahl-im-maerz-1933). In Haltern war die NSDAP bei den Landtags- und Kreistagswahlen die Partei mit den meisten Stimmen. Bei den Reichstagswahlen erzielte das Zentrum die höchste Stimmenzahl. Zusammen mit dem KSWR erreichte die NSDAP bei den Landtags- und Kreistagswahlen in Haltern knapp 50 Prozent der Stimmen, im Reichstag knapp 45 Prozent.

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