Rede zur Gedenkfeier 2024

Magdalene Meier

8. Mai 2024: Gedenkfeier zum Ende des 2. Weltkrieges am „Mahnmal“ in Lippramsdorf
(Der Redetext kann hier als PDF heruntergeladen werden.)

Liebe Gäste, liebe Freundinnen und Freunde,

zum 3. Mal treffen wir uns hier in Lippramsdorf, um an das Ende des 2. Weltkrieges heute vor 79 Jahren zu erinnern.

Warum an diesem Ort?

Viele von Ihnen, von euch, wissen, dass wir mit diesen Veranstaltungen unserer Kritik an der Gestaltung dieses „Mahnmals“ Ausdruck verleihen wollen.

Wir stehen vor einem Denkmal, das 1938, am Vorabend des 2. Weltkrieges, auf Druck der Nationalsozialisten in dieser Form errichtet wurde. Wie Alfons Bomholt in einem Leserbrief im Mai 2022 schrieb, „standen Denkmäler aus der Zeit nach 1933 nicht für Trauer und Erinnerung“, sondern sollten Opfer- und Kampfbereitschaft ausdrücken und damit den Kampfeswillen in der Bevölkerung vorbereiten und stärken. So entstand dieses Monument mit zwei zum Angriff entschlossenen Kriegern, einer hält eine Handgranate.

Die Aussage dieses Denkmals steht somit im krassen Widerspruch zu einer Gedenkveranstaltung, die das Ende des 2. Weltkrieges am 8. Mai 1945 als einen Tag der Befreiung und des Friedens würdigt.

Deshalb wollen wir die beiden Kriegerfiguren jetzt verhüllen, bevor wir mit der Veranstaltung fortfahren.

<Fotos von der Verhüllung sehen Sie hier.>

Die Krieger sind verhüllt.

Sichtbar bleiben die in Stein gemeißelten Namen vieler Opfer zweier Weltkriege, die uns daran erinnern, dass in Kriegen Menschen getötet werden, deren Angehörige um sie trauern und sich einen Ort wünschen, an dem sie dieses gemeinsam tun können. Niemand möchte ihnen diesen Ort hier in Lippramsdorf nehmen, aber ohne die aggressiven Soldatenfiguren, oder in deutlicher Abgrenzung von der aggressiven Aussage des oberen Teils des Denkmals, wäre die Trauer friedvoller.

Bei den Veranstaltungen zum Volkstrauertag an diesem Ort wird in den Reden vom Bürgermeister oder vom Kämmerer auf die menschenverachtende Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten hingewiesen und allen Opfern gedacht.

Es gibt jedoch keinen Hinweis auf den Kontext der Entstehung und der Aussage dieses Denkmals, es findet keine Distanzierung von seiner Gestaltung statt.

Ich komme zurück zum Anlass dieser kleinen Gedenkfeier: mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht endeten die Kampfhandlungen in Europa am 8. Mai 1945. Darüber hinaus „markiert [dieser Tag] die Beseitigung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft von außenund „bedeutete das Ende des bisherigen politischen Systems in Deutschland.“[1]

Von der Mehrheit der deutschen Bevölkerung wurde dieser Tag nicht als „Befreiung“ gesehen und erlebt: der „Neubeginn“ war schwer, ein Parlamentarisches Regierungssystem vielen unbekannt, die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit dem von Deutschen angerichteten Leid nicht gegeben. Die Menschen sahen sich als Opfer, nicht als Täter des Krieges. Schnell wollte man einen Schlussstrich ziehen, ein Wahlplakat der FDP aus dem Jahr 1949 fordert u.a. „Schluss mit Entnazifizierung“.

Viele von uns haben in den eigenen Familien und Bekanntenkreisen erlebt, dass über das Vergangene geschwiegen wurde. Auf Nachfragen wollte man „nichts gewusst“ haben, „nur“ Befehlsempfänger gewesen sein, oder aber auch der Scham über das eigene Verhalten oder dem von Familienmitgliedern nicht ins Gesicht sehen.

Es hat lange gedauert, bis der 8. Mai 1945 als Tag der Befreiung von offiziellen Vertretern der Bundesrepublik gewürdigt wurde (Willi Brandt 1970, Walter Scheel 1975, Richard von Weizsäcker 1985).

Gewiss war es schwer, während der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft mit dieser nicht einverstanden zu sein oder sich ihr sogar zu widersetzen. Nicht viele Menschen sind „zum Helden geboren“ – ich bin es sicher nicht. Angst ist ein starkes Druckmittel – und wurde von den Nazis durch brutales Vorgehen geschürt.

Das ist jetzt 80 Jahre her – was hat das mit der heutigen Zeit zu tun?

Nun, die Nazis sind damals nicht vom Himmel gefallen und nicht aus der Hölle empor gestiegen. Nach und nach haben sie sich die Not und die Unzufriedenheit der Bevölkerung nach dem 1. Weltkrieg zunutze gemacht, haben Versprechungen gegeben, Schuldige identifiziert, Deutschen ein Selbstbewusstsein als „überlegende Rasse“ eingefleischt, die Bereitschaft, ja sogar Begeisterung für einen „notwendigen“ Krieg geweckt… Sie haben Fakten verdreht, Lügen verbreitet, Brände gelegt, Menschen entwertet, verunglimpft, gedemütigt – und damit immer mehr Rückhalt in der Bevölkerung gewonnen.

So dass sie 1933 nach freien Wahlen an die Macht kamen und ab der Zeit ihre Schreckensherrschaft umsetzen konnten.

Wie Norbert Lammert am 26.4.2024 in seinem Vortrag in Haltern sagte:

„[…] Deutschland ist 1933 […] nicht von fremden Mächten besetzt worden. [Die Demokratie] ist gescheitert an dem Wahlverhalten von Menschen, die aus welchen Motiven auch immer, in immer kürzeren Abständen, in immer stärkerem Maße Personen, Parteien, Gruppierungen und Programme unterstützt haben, die an ihrer Gegnerschaft zur Demokratie keinen Zweifel gelassen haben.“[2])

Und damit möchte ich den Bogen schlagen zur Gegenwart:

Ja, nationalsozialistisches Gedankengut hat es während der vergangenen fast 80 Jahren in einigen Köpfen weitergegeben, während ein Großteil der Bevölkerung die Entstehung eines demokratischen Staat mehr oder weniger aktiv unterstützte und sich dem Grundgesetzes verpflichtet fühlt. Aber nun müssen wir erleben, dass – nicht nur, aber eben auch – in Deutschland eine in Teilen rechtsradikale Partei und ihr rechtsradikales Gedankengut Rückhalt finden bei immer mehr Wählern. Das ist bitter und macht mir – zum ersten Mal in meiner Lebensgeschichte – richtig Angst.

Wieder gibt es „demonstrative Intoleranz, hysterische Parolen, gedankenlose Vergleiche, menschenverachtende Pöbeleien, Schmierereien, persönliche Verunglimpfungen“[3] und nun sogar körperliche Angriffe auf Menschen, die einfach nur Wahlplakate aufhängen. Dazu kommt oft die Leugnung oder Relativierung der Greueltaten der Nazizeit.

Es scheint dringend erforderlich, dass alle demokratischen Kräfte gebündelt gegen diese Gefahr vorgehen müssen. „Nie wieder“ ist Jetzt!

Erich Kästner drückte es 1958 so aus:

„Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf.“[4]

Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Demokratie wieder von innen zersetzt wird. Halten wir jetzt den Schneeball auf! Setzen wir uns mit allen demokratischen Mitteln dafür ein, lasst uns aufmerksam und mutig sein, zeigen wir immer wieder Präsenz – auch wenn das bisweilen wirklich anstrengend sein kann.

Neben diesen innenpolitischen Herausforderungen werden wir zur Zeit auch von massiven kriegerischen Konflikten in der Ukraine und in Israel/Palästina erschüttert. Wir kommen nicht umhin, Stellung zu beziehen, Hilfe zu leisten und uns ernsthaft mit Themen wie Waffenlieferungen, Aufrüstung, Wehrertüchtigung, Wiedereinführung der Wehrpflicht auseinanderzusetzen. Wer hätte das während unserer friedensbewegten Vergangenheit je gedacht?

Auf die Frage, wie dauerhaft ein Frieden in der Welt gesichert werden kann, gibt es unterschiedliche Antworten. Und, wie Herr Lammert in seinem Vortrag auch sagte: „Keiner weiß, was wahr ist“. Also müssen wir reden, streiten, und aushalten, dass es viele verschiedene Meinungen und keine einfachen, eindeutigen Lösungen gibt. Auch das ist durchaus anstrengend!

Zum Schluss möchte ich an Alfons Bomholt erinnern. Er ist heute nicht mehr dabei, weil er am 19. Januar 2024 plötzlich und unerwartet verstorben ist.

Alfons hat mit seinen Leserbriefen in den vergangenen Jahren immer wieder auf das „Kriegerdenkmal“ in Lippramsdorf hingewiesen und den geschichtlichen Hintergrund seiner aggressiven und kriegsvorbereitenden Aussage dargestellt. Uns hat er damit den Anstoß zur Gründung unseres Arbeitskreises „Denk.Mal“ gegeben.

Vielen Halterner Bürgerinnen und Bürgern war sein Engagement jedoch lästig, er sei „ein Wadenbeißer“, wie mir einmal ein Mitglied des Stadtrates sagte. Die Halterner Zeitung entschied sich einige Male dafür, seine Texte nicht zu veröffentlichen. Statt seines Leserbriefs im Vorfeld des 8. Mais 2021 wurde alternativ ein Artikel verfasst, der einige Aspekte zur Geschichte dieses Denkmals darlegte und in einem dazu erschienen Kommentar zu dem Schluss kam: „Längst [sei] aus dem Ehrenmal ein Mahnmal geworden und längst [sei] es in einen zeitgemäßen Kontext gesetzt.“ [5]

Das sehen wir anders: Alfons‘ Beispiel folgend wollen wir „keine Ruhe“ geben. Wir werden das Anliegen, diesen Ort zu einem Gedenkort zu gestalten, der den historischen Kontext miteinbezieht und dadurch seiner mahnenden Aufgabe gerecht wird, weiter verfolgen.

Lieber Alfons: wir danken dir für deine Hartnäckigkeit, die uns wachgerüttelt hat.

Ihnen, euch, liebe Gäste danke ich für das Dabeisein!

Quellenangaben

  1.  https://de.wikipedia.org/wiki/Zweiter_Weltkrieg https://de.wikipedia.org/wiki/Bedingungslose_Kapitulation_der_Wehrmacht
  2. Siehe HZ vom 29.4.2024.
  3. Aus der Gedenkrede zum 80. Jahrestag der Bücherverbrennung an der Humboldt-Universität: https://www.bundestag.de/parlament/praesidium/reden/2013/006-255286
  4. Zitiert in der Gedenkrede zum 80. Jahrestag der Bücherverbrennung an der Humboldt-Universität, s.o.
  5. Siehe HZ vom 5.5.2021.

Der Redetext kann hier als PDF heruntergeladen werden.

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