Coesfeld macht es besser: Wie man ein Kriegerdenkmal friedlich gestalten kann
Die Stadt Coesfeld zeigt, dass man mit Kriegerdenkmälern auch anders und besser umgehen kann als in Lippramsdorf. Die Gedenkstätte für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges in Coesfeld wurde 1928 eingeweiht und liegt an der Letter Straße auf dem ehemaligen Jacobi-Friedhof. Die Figur eines Soldaten mit Helm liegt auf einer tischartigen Steinplatte. Ein getöteter Soldat, aufgebahrt. In der kreisförmigen Umfassungsmauer sind Tafeln mit den Namen der im Krieg getöteten Soldaten angebracht.

Bereits 1992 wurde das Denkmal umgestaltet.
„Das Denkmal stieß in den 1980er Jahren aufgrund der vermeintlich1Der Sinn des Zusatzes „vermeintlich“ im oben angeführten Zitat lässt sich nicht ohne Weiteres erschließen. nationalsozialistisch geprägten Ästhetik auf erheblichen Widerstand in der Bevölkerung und sollte neugestaltet werden. … Bereits in den sechziger Jahren kam der Gedanke auf, ein Mahnmal für die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu errichten, der aber erst zwanzig Jahre später wieder aufgegriffen und konkretisiert wurde. 1992 wurde die Gedenkstätte mit einem von Prof. Jörg Heydemann aus Billerbeck geschaffenen Mahnmal für die Verfolgten und für Opfer des Nationalsozialismus erweitert. Eine Eisenbahnschiene führt zu einer stilisierten Rampe – symbolhaft für den Weg der Opfer in die Vernichtungslager. Auf der Rampe steht eine Frau, die ihr Kind fest im Arm hält. Die Bahngleise sind Zeichen für Deportation, Flucht, Transport, Warten und Hoffnung. … Die herausragenden Eisenspitzen wirken wie Folterwerkzeuge. Alles soll eher an eine offene Baustelle als an ein abgeschlossenes Kunstwerk erinnern. Die weibliche Figur ist in ihrer Verletzlichkeit (unbehandelte Bronzeskulptur) als ein Gegenüber zum steinernen liegenden Soldaten geschaffen. Das Kind in ihren schützenden Armen ist durchaus als ein Hinweis auf die Pietà (Darstellung Mariens mit dem verstorbenen Jesus) zu verstehen. Zusammen mit Holzkreuz und liegendem Soldaten bilden die Schienen ein gleichseitiges Dreieck.“ (Quelle: https://stadtmuseum.coesfeld.de/stadtrundgang/juedisches-leben/ehrenmale)
Vergleich der Denkmäler in Coesfeld und Lippramsdorf


Bei einem ersten Vergleich der Gestaltung der Denkmäler in Coesfeld und Lippramsdorf gehen mir folgende Gedanken durch den Kopf: In Coesfeld wird ein getöteter Soldat mit Helm gezeigt. Diese Darstellung empfand man in der Stadt als „nationaIsozialistisch geprägte(n) Ästhetik“.2Siehe Fußnote 1. Man hielt deswegen eine Umgestaltung des Denkmals durch eine Erweiterung für notwendig. Der Darstellung des getöteten Kriegers setzte man die Bronzestatue einer Frau, einer Mutter mit Kind, gegenüber. Der Künstler Heydemann begnügte sich aber nicht mit dem Gegensatz von Soldat und Mutter. Er stellte den Bezug zwischen Soldatentum, Krieg und nationalsozialistischem Massenmord her. Die Eisenbahnschiene, die zu einer Art Rampe führt, stellt „den Weg der Opfer in die Vernichtungslager“ dar. Die Frau steht auf der Rampe, sie hält ihr Kind fest; als Betrachter fühlt man es geradezu: Mutter und Kind stehen vor dem Abtransport in die Vernichtungslager der Nationalsozialisten.
Diese Symbolisierungen kann man als Kontrapunkte ansehen, als Gegenstimmen, die aber nicht konsonant, sondern dissonant sind – sich widersprechen und dadurch zusammen ein neues Ganzes ergeben. Ein Getöteter und die Mutter mit Kind auf dem Weg in den Tod, beide Darstellungen haben auf vielfältige Weise miteinander zu tun. Die Gesamtdarstellung legt uns nahe, an verbundene, vielleicht kausal verbundene Schicksale zu denken. Trauert die vom Tode bedrohte Mutter mit dem Kind vielleicht gleichzeitig um ihren Vater, Mann, Bruder oder Sohn? Ist der Soldat nicht nur Opfer, sondern auch Täter gewesen? Die Taten der Soldaten, sind sie unabhängig vom Völkermord der Nazis?
Sehen wir uns das Lippramsdorfer Denkmal an. Es ist ungleich kriegerischer als das in Coesfeld. Es verherrlicht den Angriffskrieg. Ihm steht kein Kontrapunkt gegenüber. Ergänzende, auf andere Opfer hinweisende, erläuternde Tafeln mögen auf einer kognitiven Ebene wahrgenommen werden. Man liest, was drauf steht, man versteht es vielleicht. Nehmen wir die Denkfigur des Kontrapunktes auf und setzen für einen gedanklichen Moment ein Denkmal mit einem Musikstück gleich. Wir müssten wohl sagen: Das Denkmal in Lippramsdorf entspricht einem sehr dramatischen, lauten Musikstück. Wir hören diesem Musikstück zu, wir können es kaum vermeiden, allenfalls dadurch, dass wir uns die Ohren zuhalten. Und dazu wird uns dann eine als Ergänzung oder Kontrast gemeinte Texttafel gezeigt. Wie würde das unsere Wahrnehmung des Musikstück beeinflussen? Das Musikstück würde vermutlich weiter stark auf uns einwirken. Die Tafel mit ihrem Text könnte uns ein wenig ablenken. Aber die Musik stünde im Vordergrund. Sie dominierte unsere Wahrnehmung, weil Musik auf einer ganz anderen Ebene wirkt, viel mehr Sinne in Anspruch nimmt.
Beim Coesfelder Denkmal, im Ensemble der beiden Statuen, in Verbindung mit den Schienen, wirkt der Kontrapunkt, das „Gegendenkmal“, auf der selben Ebene – als hätte man einem Musikstück eine zweite, starke, zu Teilen dissonante Stimme hinzugefügt. Das Musikstück – um im Bild zu bleiben – wirkt ganz anders. Etwas Neues, Konstruktives entsteht.
In Lippramsdorf dominiert das von den Nationalsozialisten komponierte Musikstück unsere Wahrnehmung. Texttafeln allein ändern wenig an der ästhetischen Gewalt des Lippramsdorfer Denkmals. Seine martialische Ästhetik nimmt man offenbar hin. In Coesfeld hat man es besser gemacht.
Ergänzung
Die Lage des Denkmals sowie die Anordnung der Skulpturen und Gleise sieht man auf dem folgenden Bild. Die Soldantenfigur ist in der Mitte des Rings plaziert. Die Mutterfigur steht am Beginn der Gleise (im unteren Bereich des Bildes).

Mehr Informationen
- https://stadtmuseum.coesfeld.de/stadtrundgang/juedisches-leben/ehrenmale
- LANGE, Hendrik Martin: Materialien für den Geschichtsunterricht. Preußen & Westfalen, Münster 2020.
- LANGE, Hendrik Martin: Die Nachkriegszeit in Coesfeld. Aufbau, Neubeginn und Wirtschaftswunder, Coesfeld 2020.
- 1Der Sinn des Zusatzes „vermeintlich“ im oben angeführten Zitat lässt sich nicht ohne Weiteres erschließen.
- 2Siehe Fußnote 1.